Interview im Rahmen einer Studienarbeit zum Thema mit dem Geschäftsführer der Adines Consulting GbR René Syhre

 

  • Versicherungsbranche:

Halten Sie ein neues / bzw. überarbeitetes Geschäftsmodell für den deutschen Versicherungsmarkt für notwendig?

Ich halte ein neues Geschäftsmodell für zwingend notwendig.

In der Sachschaden- und Haftpflichtversicherung merkt man vor allem im Bereich der Hausratversicherungen ganz deutlich, dass die jüngere Generation keine klassischen Hausrat-Produkte mehr abschließt. Bei den unter 30-jährigen haben wir nur noch weniger als 30 Prozent klassische Hausratversicherungen, in den anderen Kundensegmenten immer mindestens um die 35 Prozent. Das ist ein Beispiel dafür, dass sich das klassische Geschäftsmodell eines Versicherers verändern muss.

Es gibt einige Versicherer, die bereits heute in die Richtung denken, dass sie sagen: „Wir versichern nicht mehr das Gesamtpaket, sondern wir versichern einzelne Teile davon, die dem Kunden wichtig sind.“ So gibt es beispielsweise bereits Angebote, dass im Kfz-Bereich nicht mehr das Auto, sondern das Risiko des Fahrens versichert werden soll.

Vor allem im Bereich von Sharing-Angeboten, wie beispielsweise Car-Sharing oder Airbnb, usw., werden sich Versicherer intensiv Gedanken machen müssen, wie Versicherungsprodukte entwickelt werden können, damit sie beim Kunden ankommen.

Welche Rahmenbedingungen sollten bei einer Neugestaltung des Geschäftsmodells berücksichtigt werden?

Das Kundenverhalten wird sich massiv ändern. Die Versicherer werden lernen müssen, nicht nur über ihre Vertriebsorganisation den Kunden zu verstehen, sondern sie müssen das Kundenverhalten ganzheitlich verstehen. Viele Versicherer sind heute stark auf ihre Vertriebsorganisationen getrimmt.

Bei vielen großen Versicherern taktet die Vertriebsorganisation das Geschäftsmodell. Das hat den Vorteil, dass der Vermittler den direkten Kontakt zum Kunden hat. Aber durch das Thema der Digitalisierung und des veränderten Kundenverhaltens, wird es immer mehr Menschen geben, die der klassische Vermittler nicht mehr erreichen wird. An dieser Stelle müssen sich die Versicherer überlegen, wie sie den Kundenkontakt über die digitalen Medien halten wollen. Das ist nicht nur eine technologische Frage, sondern das wird sich auch ganz massiv auf die Organisationen von Versicherern auswirken. Auch das Thema B2B, also Kooperationen mit Partnern, wird zukünftig eine immer größer werdende Rolle spielen.

Wenn man es als Versicherer schafft, durch Kooperationen ergänzende Kundendaten zu erhalten, dann kann man auch ganz gezielt andere Versicherungsprodukte anbieten. Ich glaube, da sind uns andere Branchen ganz weit voraus, wie z.B. die Automobilbranche, die sehr stark in die Digitalisierung und Vernetzung zur Erhöhung des Service-Gedanken investiert. Die Versicherer werden nachziehen müssen. Auch die Banken sind in dieser Hinsicht schon einen ganzen Schritt weiter als die Versicherungsbranche.

Die Versicherer wollen und müssen herausfinden, was der Kunde eigentlich will und diese Produkte zielgerichtet entwickeln und zwar teilweise gegen den Widerstand ihrer eigenen Vertriebsorganisation. Das wird schwierig werden. Aber ein verbessertes Kundenverständnis und eine zielgerichtete Ansprache im Produktbereich wird letztendlich auch den Vermittlern helfen, da es den Kundenbezug stärkt.

Was sind die wichtigsten Vertriebskanäle der deutschen Versicherer?

Bei den meisten entwickeln sich die Mehrfachagenden und Makler, die in der Regel sehr stark sind.

Beim aktuellen Marktführer führt beispielsweise nichts an den Ausschließlichkeitsorganisationen vorbei. Diese sind extrem mächtig.

Der Direktversicherer versucht die Abschlüsse online, direkt zu machen.

Ich kenne auch einen Versicherer, der sich große Gedanken über das Kooperationsgeschäft macht. An dieser Stelle komme ich wieder in den B2B-Bereich hinein.

Darüber hinaus gibt es noch die Vergleichsplattformen, wie z.B. Check24. Was die an Versicherungsumsatz generieren ist wirklich signifikant.

Die Vertriebsorganisationen werden sich so umstellen müssen, dass sie Kunden gewinnen, ohne dass diese in den direkten Kontakt mit dem Vermittler kommen.

Welche Vertriebskanäle sind aktuell am teuersten? Könnten durch den Ausbau des Direktvertriebes zukünftig Kosten gespart werden?

Von den Betriebskosten her, ist die Ausschließlichkeitsorganisation das Teuerste.

Die ganzen Direktkanäle haben den Vorteil, dass sie wesentlich günstiger sind. Die Direktkanäle haben jedoch heute einen Nachteil: Die Versicherungsprodukte sind zu kompliziert.

Im Bereich der Kompositversicherungen geht es noch einigermaßen, aber im Bereich der Personenversicherung (Lebens- und Krankenversicherung) wird das Produkt derartig komplex, sodass die Abschlusswilligkeit von Kunden immer weiter abnimmt.

Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Direktkanal ist es, einfache und verständliche Produkte zu bauen. Wenn ein Versicherer das schafft, dann ist er auch dazu in der Lage, diese Produkte kostengünstig anzubieten. Die Frage besteht darin: Wie muss ich den Versicherungskunden ansprechen, damit er die Versicherung auch wirklich abschließt? An diesem Punkt sind viele Versicherer heute noch gar nicht. Sie müssen verstehen, dass ihr Digitalisierungsstrategie vorne beim Produkt anfangen muss.

Welche Rolle spielt der demografische Wandel?

Der demografische Wandel wird ausschlaggebend sein.

Junge Leute / Studenten / etc. machen sich in der Regel überhaupt keine Gedanken über Versicherungen. Die Versicherer werden sich überlegen müssen, wie sie zukünftig auch diese Leute erreichen und ansprechen können, um ihre Versicherungsprodukte zu verkaufen.

Versicherer sind darauf angewiesen, den Kunden exakt zu verstehen (mit Hilfe der Analytics-Verfahren) oder Kooperationen mit Unternehmen zu bilden, die über die Kundendaten verfügen.

Welches Kundensegment wird zukünftig höchste Priorität haben (im Hinblick auf die Alterspyramide / den demografischen Wandel)?

Die wichtigste Kundengruppe und auch das wichtigste für das Geschäftsmodell ist es, die Jüngeren, die jetzt kommen, auch weiterhin für Versicherungsprodukte zu begeistern und die Versicherungsprodukte an diese zu verkaufen.

Wie könnte das zukünftige Service- und Produktportfolio der Versicherungen aussehen? Welcher Trend wird verfolgt?

Das ist ganz schwer abzuschätzen.

Das Thema Blockchain beobachte viele Versicherer, da diese Technologie die Möglichkeit oder Gefahr bergen könnte, das Geschäftsmodell von Banken und von Versicherungen überflüssig zu machen, bzw. sehr stark zu verändern.

Ich glaube, dass man zukünftig immer mehr Dinge zeitlich begrenzt versichert.

Sehen Sie demnach den Trend zu Einmalversicherung?

Ja! Also wirklich eine zielgerichtete Versicherung für einen bestimmten Sachverhalt und eben auch zeitlich begrenzt. Also zielgerichteter Versicherungsschutz genau dann, wenn ich ihn brauche.

Wie sehen Sie die aktuelle Beziehung zwischen Kunde & Versicherer und wie sollte diese zukünftig aussehen? Was müssen Versicherer dafür tun?

Der Kunde schließt Versicherungen heute nur ab, um sich vor wirtschaftlichen Schäden zu schützen.

Die Versicherungsbranche hat allgemein glaube ich, immer noch einen relativ schlechten Ruf, wenn es um das Thema Schadenregulierung geht.

Viele Start-Ups gehen genau diesen Punkt an. Auch Versicherer wollen und müssen zukünftig als Dienstleister angesehen werden. Denn auf diese Weise schaffen sie es dann auch eine vernünftige Kundenbeziehung aufzubauen. Davon sind sie aber glaube ich, von ihren internen Prozessen her, noch viel zu weit entfernt.

Man kann aber auch einen Schritt in Richtung Service weitergehen: Versicherer müssen auch den Menschen helfen, deren Haus beispielsweise abgebrannt ist. Die Versicherer haben das Know-How. Sie wissen wo man anrufen muss. Sie müssen den geschädigten beispielsweise einen Wohnraum und Mietwagen zu Verfügung stellen. Man muss die Menschen beraten, usw.

Das ist ein Punkt, in den Versicherer ganz stark rein müssen, um ihren Servicegedanken zu verbessern. Ich glaube, wenn sie das nicht tun, dann werden es andere tun.

 

  • IoT, Blockchain:

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen der Sachschaden- und Haftpflichtversicherung und IoT?

Ich glaube, dass sich insbesondere die Sachversicherung dahingehend verändern wird, dass man nur noch Dinge versichert. Man könnte das eventuell an die Verkaufsprozesse anknüpfen. Wir haben heute einfach Deckungslücken in der Versicherungsbranche. Wenn Sie heute als Privatmann ihr Zimmer vermieten: Was passiert dann im Diebstahlfall? Die klassische Hausratversicherung deckt das nicht, weil es kein Einbruch ist.

Das Thema IoT muss für die Versicherungsbranche ganz massiv werden. Denn wenn sie es nicht tun, dann tun es andere. Google, Amazon, usw. werden bestimmt auch irgendwann dort ankommen.

Welche Rolle wird das Telematik-Thema zukünftig spielen?

Das Thema wird sich in die Richtung bewegen, dass man sagt: „Ich versichere Mobilität.“ Es wird nicht mehr pauschal ein hoher Beitrag bezahlt. Der Beitrag orientiert sich an meinem Nutzungsverhalten. Erstaunlicherweise ist das Thema im Ausland viel präsenter als bei uns.

Der Ansatz muss sein, in die Kooperation mit den Automobilherstellern zu kommen, weil diese die kundenbezogenen Fahrzeugdaten haben.

Welches Potenzial bietet Blockchain im Bereich Sachschaden- und Haftpflichtversicherung?

Das ist ehrlicherweise schwer abschätzbar. Gerade die Banken haben extrem große Respekt davor, dass Blockchain ihr Geschäftsmodell über den Haufen wirft. Das Potential hat es auch.

In der Versicherungsbranche existieren noch keine richtigen Anwendungsfälle. Ich bin mir nicht sicher, ob das Thema eventuell zu sehr gehyped wird. Es gibt jedoch bereits einige Forschungsprojekte mit denen Versicherer versuchen passende Anwendungsfälle zu finden.

Wenn man das wirklich umsetzt und zielgerichtet umsetzt, dann wird es auch stark auf die Geschäftsmodelle der Versicherer wirken. Aber man wird sehen, wie es kommt.

 

  • Anforderungen an zukünftige Softwareportfolios im Bereich Sachschaden- und Haftpflichtversicherung

Wie sollten Softwareunternehmen ihre Versicherungskunden zukünftig unterstützen?

In der Versicherungsbranche haben Sie mit verschiedenen Software-Arten zu tun. Sie haben beispielsweise Backendsysteme und Bestandssysteme. Bestandssysteme haben die höchste Festigkeit. Das bedeutet, daß Änderungen an diesem System nur in längeren Abständen durchgeführt werden, meist nur zwei Release-Zyklen im Jahr. Es ist auf Stabilität und Qualität ausgelegt. Die Mittelschicht, bestehend aus Prozessen, ändert sich häufiger aufgrund neuer prozessualer Anforderungen. Die Frontends können sich hingegen sehr häufig ändern.

Ich glaube, dass Softwarehäuser sich darauf einstellen müssen, dass Versicherer genau diese Notwendigkeiten haben. Sehr stabile, feste, nachhaltig laufende Backendsysteme, in denen keine Fehler passieren dürfen. Bis hin zu Frontend-Lösungen um die Kunden anzusprechen und neue Produkte zu generieren. Also eine hohe Flexibilität in der Software für die Kundenansprache.

Die Softwarehäuser müssen schauen, wie sie hohe Flexibilität in der Kundenansprache hinbekomme und hohe Festigkeit im Backendsystem. Das ist glaube ich, die große Herausforderung für alle Softwarehersteller für Versicherungen.

Welche Rolle sollen Softwareunternehmen im Rahmen des zukünftigen Vertriebs- und Geschäftsmodells einnehmen (evtl. Business Partner oder Vermittler zu Unternehmen wie Google/Apple)?

Ich persönlich würde den klassischen Aufbau der internen IT eines Versicherungskonzern massiv verändern. Die interne IT sollte sich ausschließlich auf den Bereich Betrieb und Wartung konzentrieren.

Der Hintergrund ist folgender: Versicherer haben sehr früh damit angefangen Software zu entwickeln. Dementsprechend alt sind die Softwarelandschaften der Versicherer und teilweise auch die IT-Abteilungen.

Die Kernkompetenz eines Versicherungsunternehmens ist jedoch nicht IT. Deshalb sage ich immer: „Leistet euch IT-Abteilungen, die ihr für die Pflege des Systems braucht. Für alles andere gibt es Softwarehäuser, die das viel besser können. Diese sind nämlich spezialisiert auf Softwareentwicklung.“

Die Erstversicherer werden aufgrund des digitalen Wandels in den nächsten Jahren so unter Druck kommen, dass sie mit ihren eigenen IT-Abteilungen massive Kapazitätsprobleme bekommen werden. Sie werden Schwierigkeiten haben, den Anforderungen des Marktes, insbesondere der Veränderungsgeschwindigkeit gerecht zu werden. Das merkt man jetzt schon.

Jeder Versicherer sollte sich daher überlegen, was er kann. Er kann Schaden, er kann Produkte. Alles andere sollte an diejenigen abgegeben werden, die es besser können. Themen wie Cloud-Technologie und „Vermietungen“ von Softwaregesamtlösungen werden zukünftig eine immer größer werdende Rolle spielen. Auch das Thema Vernetzung im Bereich Analytics wird immer stärker werden. Durch die zunehmende digitale Abwicklung von Geschäftsprozessen, muss ich als Versicherer auch meinen Kunden digital erkennen können. Dafür brauche ich Softwarehäuser und IT-Dienstleister, die mir so etwas bauen.

Das ist relativ radikal gegenüber Versicherern, da diese sagen, dass IT einer ihrer Wettbewerbsfaktoren ist und in diesem Bereich auch relativ viele Beschäftigte angestellt haben. Daher wird der Veränderungsdruck von außen kommen müssen und nicht von innen. Das werden die Versicherer nicht von sich aus umsetzen.

Die Softwarehäuser haben jedoch ein ähnliches Modell, wie die Versicherer. Das heißt: Warum vermieten Softwarehäuser ihre Software nicht oder bieten diese als Dienstleistung an?

Das Geschäftsmodell der Softwarehäuser orientiert sich eben auch nicht an dem digitalen Trend. Softwarehäuser haben ein Geschäftsmodell um ihre Software zu verkaufen. Im Prinzip muss aber auch eine Änderung des Geschäftsmodells der Softwarehäuser erfolgen. Das geht vor allem bei den großen Softwarehäusern noch relativ langsam voran.

Welche Kennzahlen beeinflussen die Kaufentscheidung eines CEOs /CDOs eines Versicherungsunternehmens am stärksten? (z.B. Total Cost of Ownership, Time to Market, etc.)

In der Regel entscheiden Unternehmen einmal nach dem Kaufpreis und insbesondere auch nach den zu erwartenden Wartungskosten. Die Wartungskosten im Bereich der Lizenzgebühren und Manpower für die Pflege und Wartung eines Systems. Diese Themen werden nach meiner Erfahrung viel stärker diskutiert als nur der reine Anschaffungspreis.

 

  • Ideen, Visionen & Ausblicke

Welche Ideen & Visionen haben Sie bezüglich des Zusammenspiels von Sachschaden- und Haftpflichtversicherung, IoT & Blockchain?

Ich glaube, dass im Rahmen des digitalen Wandels Marktteilnehmer auftreten werden, die die Brücke zwischen Kunde und Dienstleister schlagen. Diese sind es gewohnt in ein Kooperationsmodell einzusteigen, flexibel und agile am Markt zu agieren und die verschiedenen Marktteilnehmer somit zusammenzubringen.

Der Versicherer wird weiterhin seine klassische Rolle übernehmen und zwar, seine Versicherungsprodukte anzubieten. Er wird dazu gezwungen werden, immer mehr mit anderen Marktteilnehmern zu kooperieren.

Meine persönliche Meinung ist, dass im Sinne des Kunden, Marktteilnehmer und Dienstleister zusammengebracht werden müssen. Man muss sich den Kundenprozess über verschiedene Branchen hinweg End-to-End vorstellen.

Welche Entwicklungen / Veränderungen halten Sie in den nächsten 2-3 Jahren für realistisch?

Die Erstversicherer werden in den nächsten 2 bis 3 Jahren noch mehr unter Druck geraten, als sie das heute schon sind. Ich gehe davon aus, dass es neue Start-Ups geben wird, die den Versicherungsmarkt verändern werden. Ich denke auch, dass die Versicherer spätestens im dritten Jahr anfangen werden, den Anschluss zu verlieren. Gerade in Deutschland werden im Rahmen des digitalen Wandels viele Versicherer den Anschluss verlieren.

Wie dringend sollte das Geschäfts- und Vertriebsmodell der Versicherer im Bereich Sachschaden- und Haftpflichtversicherung erneuert werden?

Wenn die Versicherer nicht jetzt schon dabei sind, dann ist es bereits zu spät.

Die großen Versicherer werden den digitalen Wandel vermutlich aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten überstehen.

Die kleinen und mittelständigen Versicherer werden massiv unter Druck geraten. Wenn diese es nicht schaffen ihre Vertriebsorganisation umzustellen, dann werden das die ersten sein, die mit ihren klassischen Geschäftsmodellen am Markt nicht mehr bestehen können.

 

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